Ende 2016 haben wir hier am nmi-Portal das erste Mal über das Leaky Gut Syndrom berichtet. In Internetforen und Facebookgruppen sowie auf pseudomedizinischen Seiten poppte diese „Diagnose“ plötzlich immer wieder auf. Der Darm (engl.: gut) wäre durch unser Essen und unseren Lebensstil geschädigt, hätte Löcher und wäre dadurch undicht (engl.: leaky). Dadurch würden Nahrungsbestandteile, Giftstoffe und Bakterien in den Körper dringen und dort alle möglichen Erkrankungen auslösen. Von Intoleranzen über Asthma bis hin zu Krebs.
Auch die renommierte Faktencheck-Webseite medizintransparent schaute sich die Sache 2017 an und kam zum selben Schluss wie wir: Das Leaky Gut Syndrom gibt es nicht. Bzw. weiß man nicht wie man es feststellen sollte. Wissenschaftliche Literatur zum Leaky Gut Syndrom gab es schlicht nicht.
Eine neue Bewertung der Lage
Wir haben dann 2019 nochmal nachgeschaut und weiterhin keine Änderung der Einschätzung vorgenommen. Und nun, Ende 2023, haben wir das nochmal gemacht. Die Wissenschaft hat in den letzten zehn Jahren einiges herausgefunden. Aber gibt es nun endlich das Leaky Gut Syndrom das damals pseudomedizinische Heiler*innen propagierten? Falls ja, um es mit medizintransparent zu sagen, dann hätten diese Menschen einen Nobelpreis verdient.
Leaky Gut in wissenschaftlicher Literatur
Und tatsächlich: Leaky Gut Syndrom (LGS) kommt in der wissenschaftlichen Literatur nun vor! Renommierte Hersteller von Probiotika propagieren den Leaky Gut (nicht das Syndrom!) in ihrer Werbung…. was ist passiert? Haben sich alle Ernährungswissenschaftler geirrt?
Nein, haben sie nicht. Das postulierte Leaky Gut Syndrom gibt es immer noch nicht. Aber wir wissen heute mehr über den Darm und seinen Zusammenhang mit Erkrankungen als noch vor 10 Jahren. Wir wissen, dass es gewisse (lokale) Entzündungsreaktion im Darm geben kann, die sehr wohl auf die Ernährung bzw. unsere moderne Lebensweise zurück zu führen sind und sich mit richtiger Ernährung und Bewegung gut behandeln lassen. Wir wissen, dass die Darmbakterien in vielen Bereichen unserer Gesundheit eine wichtige Rolle spielen. Von Adipositas bis depressiven Verstimmungen, Bakterien im Darm sind wichtige Faktoren. Sie können durchaus mitverantwortlich sein, wie gut unser Darm funktioniert und wie durchlässig er ist. Vor allem die erhöhte Darmpermeabilität die mit der Bakterienzusammensetzung korreliert ist mittlerweile anerkannt, aber noch nicht vollständig verstanden. Diesen Zustand findet man mittlerweile in einigen Arbeiten unter dem begriff „Leaky Gut Syndrome“. Aber Achtung: Durchlässig ist der Darm immer, sonst würden wir trotz Nahrungsaufnahme verhungern. Und vor allem: Inwieweit die Änderung der Durchlässigkeit Ursache oder Folge von Erkrankungen ist, das wissen wir auch 2023 nicht. Damit es nun wirklich unverständlich wird: der Term „Leaky gut Syndrome“ wird in der wissenschaftlichen Literatur also anders verwendet, als in der alternativmedizinischen Hypothese.
Da soll sich noch einer auskennen …
Das Fazit ist klar
Viele Darmprobleme haben gut erklärbare Ursachen, die man aber oft nicht findet. Eine Umstellung auf gesunde Ernährung und Sport ist schwierig, wäre aber der richtige Weg. Ein Weg der deutlich schwieriger ist als Probiotika und Zeolith zu schlucken. Die Schuld an allen Problemen die man so hat einem Leaky Gut Syndrom zuzuweisen, ist ein einfacher Weg, der auch noch Geld in die Taschen mancher nichtmedizinischer Heiler spült.
Die Cleveland Clinic schreibt zum Leaky Gut Syndrome:
„Viele Menschen haben vage Magen-Darm-Symptome und oft ist die Ursachensuche frustrierend und die Ursachen selbst schwer zu erkennen. Da es keine eindeutigen Antworten gibt, hat sich das ´Leaky-Gut-Syndrom` in der breiten Öffentlichkeit als Sammeldiagnose für allgemeine Verdauungsstörungen – und möglicherweise viele andere Erkrankungen – etabliert. Eine echte Hyperpermeabilität des Darms ist jedoch zu spezifisch und zu extrem, um die Symptome der meisten Menschen zu erklären.
Bei den meisten Menschen liegt einfach eine allgemeine Darmentzündung vor – die Vorstufe zur Darmpermeabilität. Dies kann auf eine bestimmte Krankheit zurückzuführen sein, oder es kann ein kumulativer Effekt von schlechter Ernährung, chronischem Stress und anderen häufigen Faktoren sein. […] Ein qualifizierter Gastroenterologe kann Ihnen helfen, die möglichen Ursachen für Ihre spezifischen Symptome herauszufinden.“
Cleveland Clinic, 2022
Quellen
1) Leaky Gut Syndrom, Zechmann-Khreis, M., Einschätzung 2023, nmi-Portal
2) Cleveland Clinic, 2022, https://my.clevelandclinic.org/health/diseases/22724-leaky-gut-syndrome, abgerufen am 8.12.2023
3) Campos, M.; Harvard Health Blog, „Leaky gut: What is it, and what does it mean for you?”, https://www.health.harvard.edu/blog/leaky-gut-what-is-it-and-what-does-it-mean-for-you-2017092212451, abgerufen am 8.12.2023,
4) Kinashi Y and Hase K (2021) Partners in Leaky Gut Syndrome: Intestinal Dysbiosis and Autoimmunity. Front. Immunol. 12:673708. doi: 10.3389/fimmu.2021.673708