Immer wieder treffe ich Menschen, die mir erzählen dass auch sie eine Nahrungsmittelunverträglichkeit oder Lebensmittelintoleranz hätten. Angesichts meines Jobs nicht weiter ungewöhnlich. In letzter Zeit fällt mir auf, dass immer mehr meiner Gesprächspartner Ihre Diagnose – mit Hilfe eines Blutselbsttests oder anderen Heimtests – selbst erstellt haben.
Tests für zu Hause aus dem Netz
Viele haben sich im Internet einen Selbsttest bestellt, diesen zu Hause durchgeführt, per Post abgeschickt und einige Tage später ihre „Diagnose“ erhalten. Da ich mich seit über einem Jahrzehnt beruflich mit dem Thema beschäftige, kenne ich solche Tests natürlich und wollte ihnen schon lange mal einen Blog-Eintrag widmen. Als mir dann auch immer mehr Werbung für solche IgG-Blutselbsttests im Internet und auf sozialen Netzwerken eingeblendet wurden, wurde es für mich Zeit, den Plan in die Tat umzusetzen. Und nun, nachdem die Firma „Kiweno“ für solche Selbsttests sieben Millionen Euro in einer österreichischen Startup-Show bekommen hat (1), bekam das Thema plötzlich viel Presse und ist nun auch in den großen Medien präsent (2, 3).
Selbstversuche mit 4 Tests
Ich habe also einige Selbsttests bestellt und die Ergebnisse dann mit Medizinern und einer Diätologin besprochen. Ich bin dabei auf interessante Details gestoßen, habe völlig unerwartete neue Aspekte kennen gelernt und viel über Menschen und Marketing gelernt. In den kommenden Blogeinträgen werde ich davon im Detail berichten.
Beginnen möchte ich mit den Geschäftsmodellen und meinen Probenentnahmen.
Das Geschäft mit der Angst
Ich gebe bei Google ein paar Symptome ein und finde schnell Werbeanzeigen von Heimtestherstellern. Als ich auf den vielen verschiedenen Anbieter-Webseiten surfe, war ich überrascht von der Vielzahl an Testmöglichkeiten. Florastatus, Gluten-Stuhltest und IgG-Bluttest auf Lebensmittelunverträglichkeiten waren mir bekannt, aber es gibt noch viele andere Faktoren, die man untersuchen lassen kann. Hormonstatus, Vitamincheck der Haare, Burnout- oder Krebstest. Die Palette ist groß. Die Verkaufsargumente sind fast immer dieselben: Abnehmen, gesünder leben, mehr Energie im Alltag, gesünder leben, ausgewogenerer Lebensstil, gesünder leben. Mir kommt es so vor, als würde man da gerne mit der Angst der nach Antworten suchenden Menschen und dem Wunsch nach einem „gesünderen Leben“ spielen. Man kauft in Wahrheit keine Selbsttests, sondern Lifestyle. Ich suche mir vier Selbsttests aus, die ich mit mir bekannten Werten meiner kürzlich durchgeführten Vorsorgeuntersuchung bzw. mit meinen klinischen Allergie- und Intoleranztests vergleichen kann. Ich möchte ganz offen und unvoreingenommen an die Tests herangehen.
Ich bestelle: Einen IgG4-Test auf über 70 Nahrungsmittel, einen IgE-Allergietest, Glutentest Stuhl und Florastatus Stuhl. Der Einkauf ist schnell erledigt, alles zusammen kostet mich knapp 400 Euro.
Mein Gesundheitszustand
Kurz zu meinen Gesundheitsdaten, die ich nun mit der Welt teile, ganz ohne Datenschutzbedenken… Ich weiß, dass ich eine Laktoseintoleranz und intestinale Fruktoseintoleranz habe. Ich reagiere allergisch auf Katzenepithelien, Hausstaubmilbe und Gräserpollen. Meine Allergien und Intoleranzen sind sehr gut abgeklärt. Ich habe definitiv kein Reizdarmsyndrom, keine Schmerzen im Unterleib, keine Allergien auf Nahrungsmittel (auch keine Kreuzallergien), keine Histaminintoleranz, keine Zöliakie oder sonstige Probleme mit Gluten oder Getreide. Ich vertrage alle Milcharten bestens. Obwohl… Über Stutenmilch, die auch in unseren Laktosetabellen vorkommt, kann ich keine Aussage treffen, da ich diese noch nie getrunken habe. Kurzum: Ich fühle mich bestens, habe meine Intoleranzen gut im Griff und lebe vollkommen symptomfrei, es sei denn ich begehe eine „Fruktose-Sünde“. Aber wer ohne Fruktose-Sünde ist, werfe das erste Steinobst…
Das Testen
Stuhltests – unterschiedliche Ekelfaktoren
Nach wenigen Tagen sind meine Tests angekommen und ich beginne mit der Probenentnahme. Die Stuhltests sind zwar ekelig, aber die Probengewinnung ist einfach. Mit einem sehr kleinen und vor allem biegsamen Löffel sollen Stuhlklümpchen in ein Gefäß manövriert werden. Klingt unappetitlich, ist es leider auch etwas. Da der Löffel wie erwähnt sehr biegsam ist, schleudere ich das eine oder andere Stuhlklümpchen gegen den Toilettenrand. Man gewöhnt sich dran.
Bluttest mit Schwierigkeiten
Die beiden Bluttests sind da schon schwieriger. Da Winter ist und ich raue Hände habe, gelingt die erste Abnahme (IgE) gar nicht. Ich steche mich mit der Lanzette, sehe ein bisschen Blut und schon ist die Wunde wieder verschlossen. Ich bin stolz auf meine Blutgerinnung, da aber nur zwei Lanzetten beiliegen, muss ich mich nun zum Bluten bringen. Ich wasche meine Hände nochmal warm ab, um die Blutzufuhr zu verbessern. Beim zweiten Stich geht es etwas besser, aber ich schaffe es beim besten Willen nicht das Röhrchen bis zur Markierung zu füllen. Ich verschicke nur ein halbvolles Röhrchen und hoffe, dass der Test trotzdem gemacht werden kann. Den anderen Bluttest (IgG) mache ich erst einige Tage später. Interessanterweise funktioniert da das Blutabnehmen – mit den gleichen Lanzetten – bestens, ich höre gar nicht auf zu bluten und könnte vermutlich drei Röhrchen füllen. Erste Feststellung: beim Arzt ist Blutabnehmen einfacher. Zu Hause gleicht es einem Blutbad…
Proben versenden ist kostenlos
Ich trage die gekühlten Proben brav zum Postamt, so steht es in der Testbeschreibung. Nur den IgG-Test – den ich etwas später mache – werfe ich in den Briefkasten. Das sei ok, sagt die Testbeschreibung. Doch der Briefkasten wird erst am nächsten Abend geleert und steht in der Sonne. Ich hoffe, das schadet meinem Test nicht. Die Webseite des Herstellers versichert mir aber, dass auch Hitzeeinwirkung kein Problem sei und die Probe sogar drei Wochen haltbar wäre. Später wird mir eine Labormedizinerin erklären, dass das mit dem Briefkasten vermutlich keine gute Idee wäre. Vor allem im Sommer könne es da schon mal sehr heiß werden und das würde einige Proben mit hoher Wahrscheinlichkeit zerstören können.
Wie auch immer. Ich warte gespannt auf meine Ergebnisse…
Die Ergebnisse sind da!
Wenige Tage nach dem Versand meiner Proben bekomme ich die ersten Ergebnisse. Die Anbieter haben alle dieselben Konzepte. Man schickt die Proben kostenlos per Post ab und einige Tage später bekommt man per Post oder per Webseite seine Ergebnisse. Meistens noch gepaart mit einer Art Diagnose oder Empfehlungen was man nun tun sollte. Eine Empfehlung ist aber – mit Ausnahme des IgG-Tests – immer dieselbe: „Bitte besprechen Sie die Ergebnisse mit einem Arzt oder Therapeuten“. Ja, das wäre sicher sinnvoll. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die meisten diese Ergebnisse nicht mit dem Arzt besprechen, sondern ihre Probenauswertungen in Facebookgruppen posten, wo dann irgendwelche Menschen – sicher keine Ärzte oder Therapeuten – die Ergebnisse interpretieren, Tipps geben und Medikationen vorschlagen. Ist ja auch irgendwie logisch… wenn ich einen Arzt dazu brauche, könnte ich ja gleich den Test bei diesem Arzt machen. Vermutlich sogar kostenlos… Dann besser dafür zahlen und in Facebookgruppen von Laien auswerten lassen. Doch Schluss mit dem Sarkasmus, ich bin gespannt, was bei mir herausgekommen ist.
Quellen
1) Forbes.at „Kiweno räumt in 2 Minuten 7 Millionen ab“
2) Der Standard vom 16.04.2016 | „Experten warnen vor Testverfahren von Rekord-Start-up Kiweno“…
3) profil, Nr. 16/2016, „Negativbefund“ pp 70-73