Immer mehr Menschen vermuten, an einer Histaminintoleranz zu leiden. Oder sie wurden durch Bluttests diagnotiziert. Die Symptome reichen von Kopfschmerzen und Hautrötungen über Verdauungsbeschwerden bis zu Herzrasen nach bestimmten Lebensmitteln. Doch: Ist wirklich das Histamin schuld? Und was bringt eine histaminarme Ernährung oder ein DAO-Enzympräparat? Neue wissenschaftliche Studien aus den Jahren 2023 bis 2025 liefern überraschend klare Antworten – und zeigen, dass die Wahrheit sehr komplex ist.
Studie 1: Nicht jede vermeintliche Histaminintoleranz ist auch eine
Eine große Untersuchung1 von Bent et al. (2023) stellte das Thema Histaminintoleranz auf den Prüfstand. 59 Personen mit Verdacht auf HIT erhielten an unterschiedlichen Tagen entweder Histamin oder ein Placebo oral verabreicht, ohne zu wissen, was sie bekamen. Ziel: objektiv zu prüfen, ob Symptome tatsächlich durch oral aufgenommenes Histamin entstehen.
Das Ergebnis war deutlich:

- 75% zeigten weniger Symptome durch eine histaminarme Diät. Aber es wurde keine vollständige Symptomfreiheit erreicht.
- Es gab keine anaphylaktischen Schocks in der Gruppe, die Histamin verabreicht bekam. Das waren übrigens teilweise sehr hohe Dosen, höher als man durch Nahrungsaufnahme normalerweise erreicht.
- Nur 15% reagierten tatsächlich auf Histamin.
- 85 % zeigten keine Reaktion, obwohl sie vorher überzeugt waren, betroffen zu sein.
- Selbst unter Placebo traten bei den nicht Betroffenen, die nur glaubten, eine HIT zu haben, häufig Beschwerden auf. Der Placeboeffekt bei Histaminintoleranz liegt in dieser Studie bei fast 63%. Das Phänomen kennen wir bei der HIT, wurde hier nochmal bestätigt.
Es wurde auch ein PRICK-Test gemacht, also eine Untersuchung, bei der Histamin in eine kleine Ritze in der Haut gegeben wird. Der Test hat sich als nicht aussagekräftig herausgestellt. Auch das wussten wir schon, wurde aber hier nochmal systematisch bestätigt.
Auch die im Blutserum gemessene DAO-Aktivität, also das Enzym, das Histamin abbaut, war kein verlässlicher Indikator. Einige mit niedriger DAO (<10 U/mL) hatten keine Beschwerden, andere mit normalen Werten reagierten stark. Darauf weisen wir hier immer wieder hin: Ein DAO-Bluttest kann keine valide Diagnose stellen. Was neu ist: Es könnte sein, dass ein Wert größer als 16U/mL eine Histaminintoleranz ausschließt.
Fazit der Studie:
Eine echte Histaminintoleranz ist deutlich seltener, als viele denken. Der Verdacht sollte erst nach einer placebokontrollierten Provokation bestätigt werden – nicht allein anhand von Laborwerten oder Selbsttests. Ein Bluttest der DAO kann keine HIT diagnostizieren, aber dabei helfen eine auszuschließen. Werte über 16 U/mL könnten eine HIT ausschließen.
Studie 2: Kein Laborwert kann Histaminintoleranz eindeutig nachweisen
Eine neue Studie2 aus Spanien, veröffentlicht 2025 in Nutrients, untersuchte die biochemischen und genetischen Grundlagen der Histaminintoleranz. Das Team um Duelo et al. analysierte die DAO-Aktivität, verschiedene Histaminmetaboliten im Urin und Genvarianten bei Betroffenen im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen.
Das Ergebnis: Weder die DAO-Aktivität im Blut noch bestimmte genetische Varianten konnten verlässlich zwischen Betroffenen und Gesunden unterscheiden. Auch die Konzentration von Histaminabbauprodukten im Urin zeigte keine konsistente Korrelation mit Symptomen.
Weder DAO-Aktivität, Abbauprodukte im Urin, noch genetische Varianten allein können als verlässliche Marker für Histaminintoleranz dienen.
Wird in allen Studien gezeigt.
Die Forschenden betonen, dass es sich bei der Histaminintoleranz nicht um eine klar messbare Stoffwechselstörung, sondern um ein multifaktorielles Geschehen handelt. Neben genetischen Einflüssen spielen vermutlich Ernährung, Darmmikrobiom, Hormonlage und Stressreaktionen eine entscheidende Rolle.
Ein einzelner Blutwert reicht nicht aus, um Histaminintoleranz zu bestätigen oder auszuschließen. Diagnostik und Therapie müssen ganzheitlich erfolgen – mit genauer Ernährungsbeobachtung, Ausschluss anderer Ursachen und individueller Betrachtung des Mikrobioms. Also eine wissenschaftliche Bestätigung dessen, was wir seit einigen Jahren vermuten und was ich in meinem Buch beshrieben habe
Studie 3: Was wir wirklich über Symptome, Diagnose und Behandlung wissen
Eine aktuelle Übersichtsarbeit3 von Jochum (2024) fasst zusammen, was die Forschung bisher über die Histaminintoleranz weiß – und wo die größten Unsicherheiten liegen.
Die Autorin beschreibt Histaminintoleranz als ein multifaktorielles Geschehen, bei dem Aufnahme und Freisetzung von Histamin die körpereigene Abbaukapazität übersteigen. Entscheidend ist dabei die Diaminoxidase (DAO), das Enzym, das Histamin im Darm abbaut. Wird sie gehemmt – etwa durch Medikamente, Alkohol, Nährstoffmängel oder Darmentzündungen – können typische Beschwerden auftreten: Bauchschmerzen, Blähungen, Hautrötungen, Kopfschmerzen, Herzklopfen oder Atemprobleme.
Doch die Diagnose ist schwierig. Laut Jochum gibt es keinen einzelnen zuverlässigen Test.
- Die DAO-Aktivität im Blut schwankt stark und spiegelt die Situation im Darm nur unvollständig wider.
- Genetische Varianten im DAO-Gen können zwar eine Rolle spielen, erklären aber nur einen Teil der Fälle.
- Provokationstests und Hautreaktionen liefern widersprüchliche Ergebnisse, und auch die Reaktion auf eine histaminarme Ernährung ist individuell verschieden.
Daher rät Jochum zu einer mehrstufigen, klinisch geleiteten Diagnostik: eine sorgfältige Anamnese, das Ausschließen anderer Ursachen und eine strukturierte Ernährungsbeobachtung sind derzeit die besten Werkzeuge.
Therapeutisch empfiehlt das Review eine zeitlich begrenzte histaminarme Ernährung, begleitet von einer späteren Wiedereinführung einzelner Lebensmittel, um die persönliche Toleranzschwelle zu ermitteln.
DAO-Präparate oder Antihistaminika können unterstützend wirken, sind aber noch nicht ausreichend wissenschaftlich belegt. Wichtig ist außerdem, Nährstoffmängel (z. B. Vitamin C, Kupfer, Zink, B6) zu korrigieren und das Darmmikrobiom im Blick zu behalten.
Was wir aus den neuen Studien lernen können
Die aktuelle Forschung rückt die Histaminintoleranz in ein neues Licht. Sie existiert – aber sie ist kein einfach zu fassendes Krankheitsbild. Weder ein Bluttest noch Urintests oder ein genetischer Marker können eine sichere Diagnose liefern. Stattdessen zeigt sich: Histaminintoleranz ist ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Faktoren – zwischen Ernährung, Enzymaktivität, Darmmikrobiom, hormonellen Einflüssen und Stress.
Für Betroffene bedeutet das: Der Weg zur Besserung führt nicht über Schnelltests oder pauschale Verbote, sondern über aufmerksame Selbstbeobachtung, wissenschaftlich fundierte Ernährungsstrategien und eine individuelle Betrachtung.
Eine zeitlich begrenzte histaminarme Ernährung kann helfen, Symptome zu lindern und die eigene Toleranzschwelle besser einzuschätzen. Entscheidend ist jedoch, die Ernährung nicht dauerhaft zu stark einzuschränken – sonst drohen Mangelerscheinungen und eine Schwächung des Mikrobioms.
DAO-Supplemente können unterstützende Puzzleteile sein, ersetzen aber keine ärztlich begleitete Diagnostik. Ein Bluittest auf DAO-Aktivität im Serum kann helfen, eine HIT auszuschließen (>16U/mL), aber kann nicht verwendet werden, um sie zu bestätigen (<10U/mL).
Am Ende steht die Bestätigung, dass Histaminintoleranz kein starres Krankheitsbild, sondern ein dynamisches Gleichgewicht ist – eines, das sich durch Ernährung, Lebensstil und gezielte Mikrobiompflege positiv beeinflussen lässt.
Kurz zusammengefasstes Fazit
Was die neue Forschung zeigt
1. Echte Histaminintoleranz ist selten.
Nur rund 10–15 % derer die glauben eine HIT zu haben reagieren tatsächlich auf oral aufgenommenes Histamin. Viele Beschwerden entstehen durch andere Ursachen oder den Placeboeffekt.
2. Kein Test kann die HIT eindeutig beweisen.
DAO-Blutwerte, Genanalysen oder Urinmessungen liefern keine sichere Diagnose für die Histaminintoleranz. Das ist wissenschaftlich gut untermauert.
3. Mehr als ein Enzymproblem.
Histaminintoleranz entsteht aus einem komplexen Zusammenspiel von Ernährung, Mikrobiom, Enzymaktivität, Hormonen und Stress – nicht aus einem einzigen Defekt.
4. Beobachten statt raten.
Eine zeitlich begrenzte histaminarme Ernährung mit anschließender Wiedereinführung ist der wissenschaftlich empfohlene Weg, um die persönliche Toleranzschwelle zu erkennen.
5. Ganzheitlich denken.
Eine ausgewogene Ernährung, Mikronährstoffversorgung und Darmgesundheit sind entscheidend. DAO-Präparate können unterstützen, ersetzen aber keine fundierte Diagnostik.
Tipp
Die FITT-Methode aus dem Buch „Histaminintoleranz verstehen und meistern“ beachtet diese Grundsätze und kann dir dabei helfen, deine Histaminintoleranz in den Griff zu bekommen.
Die Studien
1. Bent, R. K. et al. Placebo-Controlled Histamine Challenge Disproves Suspicion of Histamine Intolerance. The Journal of Allergy and Clinical Immunology: In Practice 11, 3724-3731.e11 (2023).
2. Duelo, A. et al. Pilot Study on the Prevalence of Diamine Oxidase Gene Variants in Patients with Symptoms of Histamine Intolerance. Nutrients 16, 1142 (2024).
3. Jochum, C. Histamine Intolerance: Symptoms, Diagnosis, and Beyond. Nutrients 16, 1219 (2024).